Der Gerstmann-Skandal
Verpönt ist es, aber geben tut es so etwas: Medium X veröffentlicht einen Verriss über Spiel Y, woraufhin Publisher Z erbost seine Anzeigen storniert. Werbegelder-Entzug als Strafe für redaktionelle Ungeliebtheit ist eine Keule, die eigentlich niemand auspacken sollte. Redaktion und Anzeigen sind ähnlich getrennt zu betrachten Kirche und Staat. Natürlich kann man von der Redaktion einen professionellen Umgang mit einem Spiele-Publisher erwarten. Aber wenn der Tester sich intensiv genug mit einem Produkt beschäftigt, um kompetent begründen zu können, warum es ihm nicht gefällt, ist dies zu respektieren. Die Glaubwürdigkeit einer Redaktion ist ihr höchstes Gut, weshalb sich Verlage schützend vor selbige stellen. Meistens.
CNET, der Eigentümer der angesehenen US-Webseite gamespot.com, hat seinen Chefredakteur Jeff Gerstmann gefeuert. Auslöser soll – und hier begeben wir uns in Gerüchteküchen-Territorium – dessen Video-Review des Eidos-Spiels Kane & Lynch gewesen sei. Dann passierte wohl etwa das, was Penny Arcade im Comic-Format beschrieben und damit das halbe Internet alarmiert hat: Eidos habe mit der Stornierung von Werbegeldern in sechsstelliger Höhe gedroht, Gerstmann durfte seinen Schreibtisch ausräumen. Sein gründlicher, aber fundiert wirkender Video-Verriss ist nicht mehr auf Gamespot zu finden, bleibt YouTube sei Dank aber zugänglich.
Ob Gerstmann nach zehn Jahren bei Gamespot wirklich „nur“ wegen Kane & Lynch oder anderer Ursachen entlassen wurde, können wir Außenstehende nicht beurteilen. Das Timing hätte auf jeden Fall nicht ungeschickter sein können, für CNET und Eidos droht ernsthafter Imageschaden. Erboste User strafen Kane & Lynch mit Protest-Mindestwertungen ab und fordern Gerstmanns Rehabilitation in wütenden Foren-Postings. Bei Joystiq fasst man indes die letzten Entwicklungen im Fall "Gerstmann-gate" zusammen, inzwischen kam es sogar zu einer Solidaritäts-Demonstration.
Oh, und parallel gab’s gleich noch ein Skandälchen in der Spieleindustrie: Harvey Smith (Deus-Ex-Veteran, früher Ion Storm Austin) bedachte auf einer Tagung in Montreal sein gerade veröffentlichtes Spiel Black Site Area 51 und Arbeitgeber Midway mit deutlichen Worten. O-Töne: "This project was so fucked up" und "With a year to go, the game was disastrously off rails... it went straight from alpha to final." Schwupps, schon wurde die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses im gegenseitigen Einvernehmen bekannt gegeben. Hmmm, Eidos Montreal sucht vielleicht noch Personal für das frisch angekündigte Deus Ex 3?
3 Comments:
Bin über Gamersglobal hier her gestolpert, habe die Artikel bei Penny Arcade gelesen und heute auch bei Heise nochmal eine Zusammenfassung gelesen, das scheint sich wirklich als Schuss ins Knie aus PR Sicht für den Publisher zu entwickeln.
Wenn das wirklich so abgelaufen ist, möchte ich es auch ganz euphemistisch als 'unsportlich' bezeichnen, Neutralität ist eigentlich das wichtigste Gut für eine Redaktion. Sollte raus kommen das man Wertungen erzwingen kann, oder das harsche Kritik an Spielen zu Konsequenzen für den Redakteur führen kann, dann verliert die Redaktion jegliche Glaubwürdigkeit. Dann wird bald vorgeworfen das andere Spiele zu schlecht bewertet wurden weil sie nicht gezahlt haben, oder die gute Wertung nur gekauft war. Eine Redaktion kann nur überleben wenn sie auf diesem Feld unantastbar ist, von daher wundert es mich sehr das sich Gamespot nicht vor Gerstman gestellt hat. Ich zumindest werde deren Wertungen nun keine Beachtung mehr schenken.
Ach noch was, die Einstiegshürde beim kommentieren ist bei blogger.com ist ziemlich hoch, schonmal darüber nachgedacht auf das schöne Wordpress zu wechseln, die eigene Domain existiert ja schon.
By Anonym, at 07:49
Ich hätt nicht gedacht, dass so eine große Website da einknickt. Kleinere Websites habens da schwieriger - dafür sind Hobby-Tester ja nicht davon abhängig, sondern haben noch einen richtigen Job. Vermutlich wird da dann einfach abgemahnt - wie z.B. beim Fall Innovatek.
By Anonym, at 14:28
Der bekannt gewordene Teil des Vorgangs hört sich deprimierend an. Man stelle sich vor, Medien würden präventiv nicht negativ über Produkte ihrer Werbekunden berichten, ob im Fernsehen oder Testzeitschriften. Da wird viel Glaubwürdigkeit verspielt. In dem Zusammenhang finde ich Heinrichs Bemerkung über "einen professionellen Umgang mit einem Spiele-Publisher" allerdings irritierend, zumal dahinter ein "Aber (...) der Tester (...) ist (...) zu respektieren" folgt. Das "Aber" [bei guter Begründung] impliziert, dass ein professioneller Umgang bedeutet, negative Meinungsäußerungen müssten besser begründet sein als positive... Das widerspricht meinem Verständnis von Professionalität?!
By Anonym, at 02:42
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